AG 60 Plus Wahlnachlese
Für personelle und programmatische Erneuerung
Meinungsbild der Heilbronner SPD-Senioren zur Wahlnachlese
Die für die SPD enttäuschend, ja sogar katastrophal ausgefallene Landtagswahl am 13. März 2016 war für die SPD-Arbeitsgemeinschaft 60 plus von Heilbronn Stadt und Land ein nachhaltiger Grund, sich intensiv mit dem Zustand der Partei zu befassen. Beim Freitag-Treff der Heilbronner SPD-Senioren im alten Böckinger Rathaus mit rund 50 Teilnehmer/innen verstand es Harald Friese, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Regionalverband Heilbronn-Franken, das SPD-Wahlergebnis engagiert und klar zu analysieren und zu bewerten. Der 70jährige Jurist Friese war von 1984 bis 1998 Heilbronner Bürgermeister (Dezernatsleiter) und danach eine Legislaturperiode SPD-Bundestagsabgeordneter; Friese ist heute u. a. Vorsitzender des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) der Region Franken e.V. sowie Vorsitzender des Sinfonieorchesters Heilbronn.
Widersprüchliches Wahlverhalten
In Baden-Württemberg war keine Wechselstimmung zu erkennen; die überwiegende Mehrzahl der Bevölkerung war laut Umfragen mit der Leistungen der grün-roten Landesregierung zufrieden, stellte Friese eingangs heraus. Insbesondere die in der Regierung herausragenden SPD-Minister hätten entscheidenden Anteil an den Erfolgen gehabt: Einführung von Studiengeldfreiheit, Personalvertretungsgesetz, Tariftreuegesetz, Pflegereform und Polizeireform sowie Öffnung bzw. Reform der Schulpolitik. Diese Landesregierung habe sich als die kommunalfreundlichste seit Bestehen des Südweststaats erwiesen und vier Jahre lang einen ausgeglichenen Haushalt hingelegt. Da sei es eigentlich unverständlich, dass die SPD auf einen absoluten Tiefstand von 12,7 Prozent gefallen und gar von einer neu angetretenen Protestpartei überholt worden sei. „Gute Arbeit zählte nicht, die Flüchtlingsproblematik überlagerte alle Sachfragen“, so Friese.
Andererseits hätten die amtierenden Ministerpräsidenten – Winfried Kretschmann (Grüne) und Malu Dreyer (SPD) – als konsequente Befürworter der selbst in der Union umstrittenen Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin – den Sieg davon getragen. Diesen offensichtlichen Widerspruch im Wählerverhalten führte Friese auf die Standhaftigkeit dieser beiden Spitzenkandidaten zurück: „Sie waren authentisch, glaubwürdig und vermittelten Vertrauen.“ Die SPD-Spitzen im Land, aber auch im Bund, hätten es versäumt, ihr Profil zu schärfen und seien in der Koalition Konflikten möglichst aus dem Wege gegangen, um sich als verlässliche Partner zu erweisen, „aber kaum noch wahrnehmbar“.
Gesellschaftliche und Partei-Strukturen lösen sich auf
Friese stellt auch die These auf, dass sich die gesellschaftlichen Strukturen auflösen und damit auch die Parteistrukturen, zumal soziale Milieus im Verschwinden begriffen seien; „die Arbeiterschaft wählt beileibe nicht mehr 'automatisch' die SPD.“ Emotionalisierung und Individualisierung trete in den Vordergrund. So habe die Wahlforschung noch eine Woche vor der Wahl festgestellt, dass 44 Prozent der Wähler noch unentschlossen waren. Wenn es also – gleichsam in einer Amerikanisierung des Wählerverhaltens – nicht mehr auf politische Leistung ankomme, müsste man eigentlich resignativ auf ein die Wahl entscheidendes emotionales Momentereignis setzen.
Doch damit wollte sich Friese nicht zufrieden geben und forderte eine personelle Erneuerung in der baden-württembergischen SPD. Nils Schmid, der als stellvertretender Ministerpräsident und Superminister bestimmt eine gute – wenngleich unauffällige – Arbeit geleistet habe, hätte als Parteivorsitzender nach dem Wahl-Desaster dafür die Verantwortung übernehmen und zurücktreten müssen; gegebenenfalls hätte er ja wieder kandidieren können. Auch eine programmatische Erneuerung mahnte Friese an und nannte als Themen: Soziale Wahlziele wie Wege aus der drohenden Altersarmut (Lebensarbeitswürdigung) sowie mehr Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit, ferner massiven sozialen Wohnungsbau auch im Hinblick auf die Eingliederung von Flüchtlingen.
Unglückliche Wahrnehmung der Landes-SPD
In der anschließenden von Kurt Scheffler geleiteten Diskussion (anstelle des aus Krankheitsgründen verhinderten Vorsitzenden Sieghart Brenner) ergab sich ein vielschichtiges kritisches Meinungsbild. Von Nils Schmid, dem Friese die Ausstrahlung einer Büroklammer bescheinigte, wurde zwar gesagt, dass er im öffentlichen Auftreten – so bei dem SPD-Jahresempfang in Heilbronn – sympathisch und kompetent wirkte, im Wahlvolk aber nicht punkten konnte. Auch sei es unverständlich dass er es als Spitzenkandidat zugelassen habe, dass man auf Wahlplakaten sein Konterfei hirnamputiert habe, und überhaupt sei die Wahlwerbung sehr stupide gewesen, habe die alle umtreibende Flüchtlingspolitik komplett ausgespart. In dieser Thematik gingen auch die Ansichten der SPD-Senioren weit auseinander. Sie reichten vom Stolz auf das deutsche Asylgesetz über Problematik der Integration bis zur Angst vor einer demographischen Überfremdung durch Muslime bei den jüngeren Jahrgängen.
SPD darf nicht überflüssig werden
Was die Zukunft der SPD anbetrifft: „Braucht die Bevölkerung noch die SPD?“ So eine provokative Frage. , denn mit ihren sozialpolitischen Erfolgen mache sich die SPD inzwischen überflüssig. Die SPD müsse sich neu erfinden. 150 Jahre SPD-Geschichte wirkten eher als Ballast. Für jung Wähler sei auch das P-Wort (= Partei) kaum noch vermittelbar. Die Sozialdemokraten müssten auch in sozialen Netzwerken aktiver werden, in Vereinen und Organisationen personell vertreten sein und die Kooperation mit Gewerkschaften verstärken. Es fehle an fähigem politischem Nachwuchs. Deshalb gelte es dringend, engagierte und erfolgversprechende Persönlichkeiten zu gewinnen und aufzubauen. Im Bundestagswahlkreis Neckar-Zaber etwa sei kein SPD-Kandidat in Sicht; er stehe sowieso auf verlorenem Posten.
Keine einfachen Antworten auf komplexe Sachverhalte
Friese merkte abschließend an, die politischen Sachverhalte seien heute komplexer denn je. Einfache Antworten könne es nicht geben, sagte er und äußerte die Befürchtung, dass Populisten die parlamentarische Demokratie gefährden. Hier müsse die SPD mit überzeugenden Argumentationen gegenhalten und sich als Sprachrohr für soziale Gerechtigkeit wieder stärker profilieren. Gerade auch im „reichen Deutschland“ gäbe es diesbezüglich noch genügend Probleme aufzuarbeiten. Friese wies darauf hin, dass die SPD bei Wahlen immer dann gut abgeschnitten habe, wenn sie emotionale Themenfelder besetzt habe: 1972 Frieden und Versöhnung mit dem Osten, 1976 gegen Strauß, 1998 Schluss mit Kohl, und 2002 keine Beteiligung am Irak-Krieg.
Die SPD-Senioren wurden aufgerufen, sich bei dem anstehenden Kreisparteitag zu beteiligen und sich stark zu machen für Delegierte zum Landesparteitag, die beitragen können, die Landes-SPD wieder voran zu bringen, möglichst auch mit einer Verstärkung der kommunalen Seite im Landesvorstand. (hs)